Wie gute Planung Texte nach vorne bringt

Erschütternd wahr: So einige Seiten im World Wide Web sind nicht nur technisch und gestalterisch überholt, sondern kranken insbesondere an schlechtem Text und dünnem, teils fragwürdigem Inhalt. "Sich darüber aufzuregen macht Spaß, ist aber fast schon zu einfach. Was aber macht denn jetzt einen guten Text und starken Inhalt wirklich aus, bitte?

Dieser und der Folgeartikel entstanden mit freundlicher Inspiration durch Nicolai Schwarz, der so nett war, mit mir für die TeilnehmerInnen des Barcamp Hamburg 2011 einige "würdige Worte für wahre Webseiten" zu finden.

Was Webwriting von Non-Webwriting unterscheidet

Das Web ist "neu", das Medium ist anders - es ist interaktiv. Das klingt vielleicht abgedroschen, aber weder Print, Radio oder TV können das von sich behaupten. Trotz der Multimedialität ist das Web aber eben auch viel Text und Bild auf Bildschirmen. Mal bewegt, mal auditiv, in den meisten Fällen aber in Schriftform. Das Medium verlangt eine bestimmte Form der Wahrnehmung. Die Inhalte tragen dem im besten Falle Rechnung.

Aufmerksamkeitsspanne und Entscheidungen

Die verbrachte Zeit eines Nutzers vom Aufrufen der Seite bis zur Entscheidung, dort zu bleiben (oder nicht zu bleiben) ist kurz. Sehr kurz. Schätzungen schwanken zwischen 3 und 10 Sekunden. Natürlich ist das abhängig vom Nutzertyp, aber ich halte drei Sekunden noch für wahrscheinlicher. Das Überangebot an Informationsquellen und der ewige Fluss der Informationen hat Nutzern gelehrt, Entscheidungen schnell zu treffen.

Um Vergleiche mit anderen Medien zu bemühen: eine Website ist bei Nichtgefallen ungefähr so schnell geschlossen wie ein Fernsehsender mit Dauerwerbung weggezappt. Das Problem wird aber größer: diese Website hat beim Besucher für nahezu immer verspielt, denn er oder sie kommt kaum zufällig wieder auf diese Seite, um ihr eine zweite Chance zu geben (im Gegensatz zum TV-Sender, der durch die Zapp-Rotation durchaus wieder auf den Bildschirm kommt). Und es ist zu großen Teilen der Inhalt, der "King Content", der seine Chance verpasst, in den ersten Momenten zu glänzen.

Lesbarkeit und Leserlichkeit

Auf das eine haben Schreiberlinge großen Einfluss: die Lesbarkeit. Länge der Sätze, Komplexität der Sprache und der Formulierungen, Struktur des Textes und mehr machen einen Text mehr oder weniger Lesbar. Wie komplex oder simple beispielsweise ein Text sein kann oder darf, hängt natürlich wieder von der Zielgruppe ab. Es gilt aber wie in jeder guten Publikation, es so verständlich wie möglich zu halten.

Leserlichkeit geht damit Hand in Hand, ist allerdings eher eine Frage der Präsentation des Textes: Zeilenabstand, Zeilenlänge, Schriftart und Kontraste spielen hier eine Rolle. Texte auf Bildschirmen sind oft von Natur aus weniger leserlich als etwa Printtexte. Dem entgegen zu wirken ist aber nicht schwer: Zeilenabstände dürfen gut eineinhalbfach oder größer sein, eine Schrift unter 12 Pixeln ist nur in Ausnahmen zu empfehlen, ein Schrift/Hintergrundkontrast sollte weder extrem schwarz/weiß sein noch grau in grau, Zeilenlängen sind gut gewählt, wenn 60 oder 70 Zeichen in die Zeile passen.

Lange Zeit galt noch die Faustregel, dass serifenlose Schriften (z.B. Arial, Verdana, Helvetica) auf Bildschirmen empfehlenswerter sind als jene mit Serifen (Times, Georgia). Mit der Entwicklung der Bildschirme zu immer höherem Auflösungsvermögen fällt diese Regel aber so langsam aber sicher in die Kategorie "damals".

Teaser und Vertiefung

Eine klassische Disziplin aus dem Online-Journalismus ist das dröge anmutende Teaser-Schreiben. Aber natürlich brauchen nicht nur redaktionelle Seiten vernünftige Teaser. Ein Teaser ist in der Regel ein zusammenfassendes und appetitmachendes Informationshäppchen von einigen wenigen Zeilen, vielleicht mit einem Bild, welches in seiner Gänze auf den Detail-Content verlinkt. Man findet Teaser häufig auf Startseiten, Index-Seiten oder auch bei Facebook, wenn ein Link eingefügt wird - wobei bei letzterem der Teaser-Text automatisch aus den Anfängen des Contents generiert wird und allzuoft völlig am Thema vorbei geht.

Damit genau das auch bei handgemachten Teasern nicht passiert, gilt es auch hier, verdichtete journalistische Maßstäbe anzusetzen. Das ist wichtig, denn dieser Teaser entscheidet im Zweifelsfalle über das Wohl und Wehe des Detail-Contents - darüber, ob ein Artikel gelesen wird, ein Produkt in die nähere Auswahl kommt, ein Formular abgeschickt wird - ob die Website ihren Zweck erfüllt, das Ziel erreicht wird.

Teaser tragen durch ihre Kürze der kurzen Aufmerksamkeitsspanne Rechnung - wegen ihrer Erfolgspflicht lastet auf ihnen eine große Verantwortung. Zu den gewichtigen "journalistischen Maßstäben" gibt's deswegen mehr in Kürze in diesem Blog.

Ziel, Botschaft, Zielgruppe

Es ist das Alpha und das Omega für so viele Disziplinen in der (digitalen) Kommunikation. Es kann. Nicht. Oft. Genug. Gesagt. Werden. Informationsarchitekten, UX-Designer und selbst Grafiker kennen diese Schlüsselbegriffe. Sie bilden den Ansatz für eine Kommunikationsstrategie und das Kontrollwerkzeug für die Erfolgsmessung und Optimierungen. Ohne sich mit diesen Kernthemen auseinandergesetzt zu haben, ist der Versuch in einen Dialog mit Nutzern zu treten glücklich bis sinnfrei.

Ziele: kleinschrittig und greifbar halten

Am Anfang stehen, wie so oft, die guten Fragen. Was ist das Ziel meiner Website? Möchte ich etwas verkaufen? Möchte ich in einen Dialog treten? Möchte ich, dass meine Inhalte in sozialen Netzwerken die Runde machen?

Ziele sind mannigfaltig und natürlich oft mit dem wirtschaftlichen Nutzen des Anbieters verbunden. Doch ein pauschales "Informieren" oder "Besucher kriegen" ist zu unkonkret, zu ungreifbar. Besser ist es, sich kleinschrittig zu Fragen, welche Funktion die Website haben wird. Was soll gelesen werden? Was geklickt? Welches Gefühl soll erzeugt und welche Attribute sollen transportiert werden? Je kleiner und konkreter einzelne Ziel"-bausteine" sind, desto einfacher ist es, zu überprüfen, ob wirklich alles dafür getan wurde, das Ziel oder die Ziele zu erreichen. Erfüllt ein Textteil oder ein Inhaltspart keinen erkennbaren Zweck, stellen Sie es in Frage und schmeißen sie es im Zweifel raus. Weniger ist mehr.

Im Zusammenhang mit Zielen spricht man auch von "Konversion". Mit einer Konversion ist der Moment gemeint, an dem ein Besucher zu einem Nutzer/Abonnement/Käufer/Stammbesucher wird, also "konvertiert" wird. Fußball-Metapher zur EM gefällig? Es ist der "Abschluss" nach all der Vorarbeit. Besser früh als spät.

Botschaft: Sie sind bei uns genau richtig!

Botschaften können konkret formuliert oder subtil transportiert werden, sie sind aber in keinem Fall Selbstdarstellungsparaden. Es geht um den Transport der Nachricht, dass der oder die Nutzerin hier genau richtig sind. Dabei sind Superlative und ausufernde Adjektive - gerade im Netz - eher kontraproduktiv.

Eine Botschaft lebt von Werten, die durch authentische Sprache, verlässliche Inhalte und auch die Präsentation Form gewinnen. Je genauer sich alle MacherInner der Website über diese Botschaft(en) im Klaren sind, desto runder, konsistenter wird das Ergebnis.

Voraussetzung dafür ist, wer hätte es gedacht, dass Sie ihre Zielgruppe kennen und wissen, was für sie "genau richtig" ist.

Ein kurzer, aber guter Abriss zum Thema PR-Botschaft: PR-Botschaft: Wie Sie Zielgruppen richtig ansprechen

Zielgruppe: Analyse ist nichts schmutziges

Die gute Nachricht: Sie müssen nicht viel wissen, um wenigstens etwas zu wissen. Es hilft, sich vor Augen zu führen, mit welchem Typ Nutzer Sie es bei Ihrem Angebot zu tun habe. Das rekrutiert sich am einfachsten aus bisherigen Erfahrungen oder wird einfach vom Produkt abgeleitet. Kernfragen sind unter anderem dabei: Woher kommt meine Zielgruppe? Welche Sprache spricht sie? In welchem Alter befinden sich die Personen meiner Zielgruppe? Wie ist das Verhältnis Männer/Frauen? Welche Interessen hat meine Zielgruppe? Welches Vorwissen kann ich voraussetzen? Spielen Ethik und Religion einer Rolle - wenn ja, welche?

Es braucht zunächst keine ausufernden Statistiken dafür, gesunder Menschenverstand ist was ganz hilfreiches. Diese Analysen und Konzepte unterliegen idealerweise ohnehin einer steten Kontrolle und Anpassung - dann auch auf der Grundlage von Erfahrungswerten und Resultaten aus Analysetools.

Zielgruppen als Personas konkretisieren

Da "Zielgruppen" doch häufig sehr abstrakt daher kommen, gibt es mit den Personas eine Methode, sich die Zielgruppe zu verdeutlichen und zu konkretisieren. Statt zu versuchen, eine anonyme, gesichtslosen Masse zu begreifen, konstruiert man sich fiktive Personen mit Namen, Berufen, Familienstand, Alter, Charaktereigenschaften. Diese nutzen dann gedanklich - oder auch im Rollenspiel - die Website und versuchen, ihren Bedürfnissen nachzugehen. Dabei schauen Sie ihnen über die imaginäre Schulter. Es kann sehr aufschlussreich sein, sich zu fragen, wie sich Brigitte, 42, Buchhalterin und Joggerin aus Leidenschaft, kurz vor dem Tatort auf der Website des Hotels ihres potentiellen Sommerreiseziels verhält - und welche Wünsche und Anforderungen Sie an die Seite wohl hat.

Erstbesucher und Wiederkehrer

Einen Spagat im Hinblick auf die Zielgruppe werden Sie zumindest immer machen müssen; nämlich zwischen jenen, die zum ersten Mal Ihre Website besuchen und Einführungen benötigen und jenen, die Ihre Website zum wiederholten mal besuchen und direkt auf einen bestimmten Punkt hinsteuern. Lösungen, dem zu begegnen, sind mannigfaltig. Dazu gehören gute Navigationen mit klarer Sprache, Startseiten mit Einführungsabschnitten und Sprunglinks zu den neusten Inhalten, eine abweichende Darstellung für erneute Besucher (die zum Beispiel noch eingeloggt sind), Suchfunktionen, strukturierte Benutzerführung parallel zur explorativen Benutzerführung - um nur einige Möglichkeiten zu nennen.

Das klingt alles nach unheimlich viel Marketing!

Ist es ja auch. Eher ist es der Bereich Öffentlichkeitsarbeit (oder "Public Relations"), aber schlussendlich ist eine Website nicht selten in seiner Gänze ein Marketinginstrument - wenn sie nicht schon das Produkt selbst ist. Dennoch hat die Schreibe auf Webseiten mehr noch mit Journalismus gemein als mit platten Werbephrasen und -botschaften. Und was ein Nachrichtenwert ist und warum er so wichtig ist, erfahren wir im 3. Teil der Reihe "Texte im Web"