Die Woche der kleinen Welten

Wenn eine Weisheit immer wieder freudestrahlend zutrifft, dann ist es jene darüber, dass die Welt ein Dorf ist. Aber sie ist auch ein Dorf mit vielen kleinen Subdörfern. Auf der re:publica in Berlin als auch parallel in der Heimat habe ich beide Phänomene in den letzten Tagen erfahren können. Ein Resümee darüber, was uns verbindet und was uns trennt

Die Welt der Wasmitmedien

Drei Tage lang hatte die "Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft" den Friedrichstadtpalast in Berlin und die angeschlossene Kalkscheune besetzt, um über allerlei Medienthemen zu diskutieren. Ein fraglos spannendes Unterfangen, bei dem es neben den weitgestreuten Themen von Gebärdensprache bis Emanzipation vor allen Dingen um das Treffen an sich ging. Viele neue Kontakte, ein Paket voller Visitenkarten und einige neue Follower auf Twitter sprechen für mich eine deutliche Sprache.

Die ZusammenhalterInnen

Meine Ex-Kommilitonin und gute Freundin Carolin bewies zusammen mit ihren Digital Media Women, was Zusammenhalt bedeutet - und wozu es führen kann. Gleich zwei Sessions wurden von DMW-Mitgliederinnen gehalten und gerechterweise gelobt. Zusammen mit Sanja zeigte Caro auf, welchen Einfluss das Handwerkszeug der Kommunikativen Menschen auf die Öffentlichkeit haben kann. Es war die Rede von Sprache, Wortgebilden und -hülsen wie "Netzaktivisten" und "Datenkrake", die unkritisch von vielen Textschaffenden übernommen werden. Vielleicht auch durch den abschließenden, gelungenen Appell an alle Schreiberlinge, mehr Augenmerk auf dieses Phänomen zu legen, bissen auch große Medien an und thematisierten diese Aufgabenstellung.

Im Übrigen gefiel das nicht jedem. Bloß gut, dass es Menschen gibt, die das eloquent relativieren können:

ist aber auch echt nervig, dass frauen und minderheiten jetzt eure schöne konferenz kapern

@ckoever am 16. April

Dass trotz 2.500 Teilnehmer ein relative großer Streuverlust in Sachen Zusammenhalt festzustellen war, wurde auf einer großen Leindwand unfreiwillig visualisiert. Denn: mit dem Namensschild der re:publica-Teilnehmer, auch Badge genannt, wurde auch die zufällige Zugehörigkeit einer Farbgruppe bestimmt. Ich war #rot. Jede Person, die einen Tweet mit dieser Farbe absetzte, wurde mit allen weiteren Äußerungen fortan dieser Gruppe zugeordnet und sollte im Laufe der Tage Teil eines großen Kontinents werden (je mehr Tweets einer Farbe, desto größer). Nun, die Kontinente blieben überraschend klein. Vermutlich, weil zahlreiche Teilnehmer dieses Spiel nicht mitspielen wollten.

Oder es lag am WLAN. Das hatte nämlich häufigere Absturz- und Comeback-Attituden als Charlie Sheen. Von der t-mobile Funkzelle ganz zu schweigen.

Die Pöbler

Nicht ganz unselbstkritisch wurde allerdings auch konstaniert, dass die kommunikative Reichweite der Medienmenschen doch noch irgendwie nicht in die Welt der "Normalos" vordringt. Man sei isoliert, unter sich, böte keine echten neuen Ideen. Die in der Haupstadt umliegenden Bistros und Etablissements spiegelten diesen Eindruck teilweise wieder, als sie fragten, wozu denn diese Namensschildchen gut wären, die jeder zweite Gast neuerdings um den Hals trug.

Untermauern konnte man diesen Eindruck durch die Theorie der Echochambers, die Thomas Pfeiffer am Tag Eins aufstellte. Anscheinend kommen wir alle halt nicht aus unserer Haut, wenn wir mal wieder nicht über unseren gesellschaftlichen Tellerrand schauen wollen. An die Nase fassen dürfen sich aber in dieser Hinsicht nicht nur die Digital Natives. Das geht so ziemlich jedem so.
Siehe auch Tag Eins meiner mehr oder weniger Liveberichterstattung.

Zynisch pöbelte Sascha Lobo in einer Session, dass außer ihm ja niemand den Mut hätte, die große Bühne zu betreten und Furore in Sachen neue Medien zu machen. Johlende Zustimmung aus dem arenagleichen Palast sorgte bei mir für Irritation. Mit Gedanken bei meinen zahllosen Kundengesprächen und Bemühungen, das Wesen des Internets in die "normalen" Köpfe meine Kunden zu bekommen, fühlte ich mich auf den Schlips getreten. Muss ich denn Popstar sein, um einen Unterschied zu machen? Muss ich mir die Haare rot färben, um die gute Nachricht nach außen tragen zu können? Nunja, man muss ihn schon zu nehmen wissen, den guten Sascha.

Apropos kleine Welt: Es soll Sessions gegeben haben, die sehr gut waren, obwohl ich sie entweder nicht besucht habe oder nicht besuchen konnte. Nicht unerwähnt bleiben soll hier eine Session von Günter Duck über das Internet als Gesellschaftsbetriebsystem. Das Internet holt diese Welt ins heimische Wohnzimmer.

Wer 48 min. Zeit hat, sollte sich den -Vortrag von @ anhören - Wer keine Zeit hat, sollte es trotzdem tun!

Uwe Knaus alias @uknaus

Die Welt der Verwandten

Mit einer Hamburgerin an der Spree chillen ist nicht das unnormalste der Welt. Wenn diese Hamburgerin dann aber die geliebte Verwandtschaft aus dem Norden begegnet, erinnert schon wieder an dieses kleine-Welt-Phänomen. So erging es jedenfalls Taalke, die, nichts Böses ahnend, plötzlich auf Platt von der Seite ankommuniziert wurde.

Mir sollte es zwei Tage später nicht besser ergehen, als ich feststellte, dass ich mit einer schon länger bekannten Bekannten im x-ten Grad verwandt bin. Da die Welt aber ein Dorf ist (hatte ich das schon erwähnt?), verrate ich nicht wer und wie und wo.

Die Welt der Kollegen

Gedankensprung zurück zur re:publica. Viele trafen Kollegen und Bekannte in Berlin, mich allerdings der Schlag, als ich einen aus Kindheitstagen in guter Erinnerung behaltenen Menschen wiedertraf. Der Begegnungsdialog sprach Bände:

"Sag mal, heißt Du zufällig Frank?"
"Bist Du der Sohn von..."
"Ganz genau!"
"Das ist ja... hey!"

Es folgten Umarmung und Verabredung. Frank (@frank_tentler) macht jetzt auch was mit Medien. Genau wie ich. Die re:publica vermittelte nicht nur durch solche Momente, dass es beinahe nur noch Menschen in diesem Berufsfeld gibt.

Daheim wurde mir ein alter Kunde über einen neuen Kunden erneut vermittelt, die beides nichts von mir als ihren gemeinsamen Schnittpunkt wussten. Dass dieser neue Kunde auch irgendwie bekanntheitsgraduell mit meinem sozialen Umfeld über überraschend viele Ecken zu tun hatte, war darüber hinaus schon fast langweilig erwartbar.

"In echt" durfte ich in Berlin bisher nicht persönlich bekannten aber dafür umso mehr respektierten Kollegen die Hände schütteln. Sei es dem HTML5-Experten Peter Kröner, Technikwürze-Macher David Maciejewski oder dem Texter Nicolai Schwarz. Der bereits auf dem BarcampRuhr 4 kennengelernte und sympathische Maik Wagner (der die alle schon kannte) erwähnte dazu lässig:

"Weißt Du, Mirko, das sind Menschen wie du und ich, die kochen auch alle nur mit Wasser".

Maik Wagner

Immerhin lässt das darauf schließen, dass wir nicht nur die gleichen Konferenzen besuchen, sondern auch unsere Tees und Kaffees auf derselben Grundlage zu uns nehmen. Puh! :)

Privates und geschäftliches verband sich feministischer Weise plötzlich auch am Abend bei einer Tasse Bier. Während ich am Jahresende 2009 mit Alice Schwarzers Magazin EMMA im Gespräch über den Relaunch war, sprach ich nun mit Alex, die ihres Zeichens seit einigen Monaten Redakteurin bei eben diesem politischem Magazin von Frauen für Menschen ist. Da ich die EMMA seit Kindheitstagen kenne und Jahre später immer noch schätze, war dieser Kontakt wirklich etwas Besonderes und fühlte sich so an, als würden sich zwei lose Enden zu einem Ganzen zusammen fügen.

Die Welt der Prominenten

Das wir tatsächlich alle mit Wasser kochen und uns gar nicht so fremd sind, bewies der WDR, der das Thema der Digital Media Women auf der re:publica zum Aufhänger erhob. Von wegen Reichweitenproblem. Als Chrisi am Morgen des 3. Berlin-Tages verlauten ließ, dass der Malotki von 1Live sich zu eben diesem Aufänger regte, war klar, dass Zusammenhalt Wellen schlagen kann.

Berlin protzt nicht bewusst mit Prominenz, aber dass einem der ein oder andere bekanntere über den Weg läuft, ist nicht ganz auszuschließen. Vielleicht gesehen habe ich: Wirtschaftsminister Brüderle. Absteigen sehn habe ich: Umweltminister Röttgen. Rauchen sehn habe ich: Ben Becker. Letzterer wenigstens erzeugte in mir nicht dieses vehemente Gefühl der Abneigung. Berlin ist manchmal halt auch ein Wechselbad der Gefühle.

Die Welt der Besseren

Diese meine erste re:publica war viel besser, als manche anscheinend niezufriedenen im Nachhinein erzählen. Und ich bin froh, dass die positiv denkende Digitale Gesellschaft sich schlagfertig zu verteidigen weiß. Wer mault, soll's besser machen. Für mich war's gut genug, mal abgesehen von der fehlenden Plastikschutzhülle für mein Namensschild und den teilweise zu kleinen Räumen. Der Überlauf dieser Räume steht ja auch mal wieder im Kontrast zu den lautstarken Echauffierungen.

Verbesserungsbedarf ist da, na klar, wirklich versaut hat's aber keiner, im Gegenteil. Die Welt ist ja anscheinend klein genug, um auf kurzen Wegen nächstes Jahr aktiv zum Erfolg beizutragen. Gegen etwas zu sein ist einfach und twittern kann jeder. Mehr oder weniger.


In voller Länge schildere ich meinen subjektiven Eindruck der re:publica einen Eintrag früher.

Weitere, andere, ergänzende, erweiternde und subjektive Beiträge zur re:publica: