Der König der Kunden

Von wem oder was lernen wir? Von Kollegen, sicherlich; von uns und unseren Praxisprojekten; aus Büchern, Workshops und Dokumentationen ebenfalls. Doch eine Lern-Gelegenheit lassen wir selbstgerecht und vielleicht ein bisschen naiv zu häufig ungenutzt: Unsere schlimmsten Kunden.

Dieser Text erschien erstmalig in der SCREENGUIDE #25.


„Ich soll WAS machen?“

Der Ton, der das ganze Telefonat über bereits Verspannungen zu haben scheint, vermeidet es angestrengt, eine fröhlichere Richtung einzuschlagen.

„Na, das Logo nicht so mittig, den Hintergrund bitte dunkler und können Sie den Introtext nicht in einer lebendigeren Schrift setzen?“

Mit tiefer Zermürbung pfeffere ich den Hörer auf die Gabel. Dabei ignoriere ich, dass mein Smartphone kein echtes Gabel-Äquivalent besitzt und ich als guter Dienstleister so etwas oder ähnlich unprofessionelles natürlich nie tun würde.

Der Höllenkunde, der mein-Schwager-versteht-was-von-HTML-Angeber, der Logovergrößerer und Bildschirmfarbvergleicher schlug gerade wieder zu.

„Für wen hält der sich eigentlich, meine Design-Entscheidungen in Frage zu stellen?“ Ich höre mich Verwünschungen fluchen und bedauere das mögliche nun entstehende Endergebnis. Und mehr noch bedauere ich mich und meinen Berufsstand. Wir unverstandenen Webworker haben schon das schwerste Los.

Na gut, vielleicht nicht das allerschwerste und sicherlich auch nicht schwerer als das aller anderen Berufsgruppen. Zum Beispiel unterbezahlte Servicekräfte, Doppelschicht schiebende Fluglotsen, Sozialarbeiter, Bahnfahrer, Ärzte, Putzhilfen… ja, verdammt, alle haben einen Job, der mehr und weniger Kummer bereiten kann.

„Nervige Kunden hat ja wohl jeder“, sagt meine Freundin immer. Ich komme voller Schamgefühl von meinem Egotrip herunter und zu dem Schluss, dass sie recht hat. Von meinem jüngsten Honorar gehen wir uns ein Eis und eine neue Küche kaufen.

„Aber das Ergebnis!“ lamentiere ich mitten im Labyrinth eines schwedischen Designermöbelhauses, „das sieht doch am Ende total bescheuert aus! Mein originales Design war super, der Kunde wünscht sich das jetzt völlig kaputt! Außerdem sind seine Vorstellungen total widersprüchlich.“

Aber irgendwie stimmt das schon mit der Ausrichtung des Logos, denke ich, das fügte sich von Anfang an nicht wirklich perfekt ein. Und tatsächlich täte dem Design ein höherer Kontrast ganz gut.

Um unserem Werkvertrag das Leben auszuhauchen reichen als Wutanfälle getarnte Facepalms zum Glück nicht aus und die gewissenhaft überarbeitete Version des Entwurfs stößt einen Tag später auf die Art von Begeisterung, die Folgeaufträge wahrscheinlicher werden lässt.

Design gerettet, Tag gerettet, denke ich und klopfe mir für diese Heldentat auf die Schulter. Meine Heldentat, von mir, ganz allein – nur mithilfe eines Höllenkunden. Und eines Eises.

Das Telefon klingelt – er wieder. Ich reagiere: „Wie bitte? Sie möchten gleich große Textboxen? Und der Kopfbereich soll beim Scrollen die Farbe verändern?“ Ich atme tief durch. Es dämmert mir. Vielleicht sind auch diese Ideen gar nicht so blöd, wenn ich Sie nur in meinen Kontext übersetzen kann. „In Ordnung. Lassen sie mich das besser verstehen. Erläutern Sie mir doch einmal kurz, warum Sie diese Änderung haben möchten.“

Das Gespräch wird nur kurz von einem Wehklagen unterbrochen, das aus der egozentrischeren Südwest-Region meines Hippocampus zu kommen scheint. Ich vertröste den Klageruf mit einem Gutschein für eine zweistündige Prokrastination auf clientsfromhell.net und notiere mir weiter Anregungen für die Optimierung unserer Website, von denen ich mir zumindest vornehme, die Hälfte in ernsthafte Erwägung zu ziehen.

Der König der Kunden, der Höllenkunde, vermag zuweilen doch mehr Geschenk als Fluch zu sein.