Live von der re:publica

Von der ehemaligen Kulturhauptstadt in die ehemalige ehemalige Bundeshauptstadt zur Konferenz der digitalen Gesellschaft. Ich befinde mich kurz vor der Abreise in noch ziemlich analoger Gesellschaft meiner beiden Taschen und meiner Eintrittskarte. In den kommenden Tagen vernimmt Berlin meine treue Präsenz und ich teil an der re:publica. Da geht es um Allerlei Web, was-mit-medien, Social Dingenskirchen, aber vor Allem um eins: Hach!

Pictures, please!

Einen relativ impressionistischen, vielleicht auch etwas zusammenhangslosen Fotostream von meiner Handycam gibt es im öffentlichen Teil meiner Dropbox zu sehen.

Schnellsprunglinks

Preludium | Tag Eins | Tag Zwei | Tag Drei | Postskriptum

Preludium Dienstag, 12. April
Oder: Abhängig von Verbindungen

Die Bahn kommt

iPhone-Tethering: check. Tasche: check. Reisefön: check. Ticket und Ticket: check check. Los geht's. Auf nach Berlin!

Damit die Zugfahrt neben lustiger englisch-Radebrecherei der Zugführer auch etwas Unterhaltung bietet, habe ich gestern noch meinen iPhone-Vertrag anpassen lassen, so dass ich mich auch ohne verfügbares WLAN mit meinem Notebook via iPhone über Verbindungsabbrüche ärgern darf. Mein Twitter-Stream ist voll mit re:publicanern, alle fahren in einem anderen Zug als ich. Aber das ist halb so tragisch, da ich doch weiß, dass wir uns alle zur Mett-Völlerei vor dem Friedrichspalast einfinden werden.

Bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h versende ich vier mal eine halbe eMail und führe mir den Session-Plan der re:publica vor Augen. Ich hätte eher damit anfangen sollen.

Aufgrund der schlechten Verbindung im Zug wünschte ich, der Sessionplan wäre mit einigen deskriptiveren Überschriften gesegnet. Aber dafür müsste man natürlich irgendwas mit Kommunikation (oder wenigstens mit Medien) gemacht haben.

Angekommen im Zirkus

Mein Zug erreicht überraschend pünktlich den berliner Hauptbahnhof und keine zwei S-Bahn-Haltestellen weiter erstrahlen die Hackeschen Höfe im Sonnenschein. Ein wenig Fußmarsch und durch die Pforte des Circus Hostel - ein schöner Ort, mit allem, was man so braucht. Kellerbar, WLAN, Club Mate.

First flush

Mit Chrisi, Taalke, Meik und noch vielen weiteren in ein argentinisches Steakhouse. Völlige Verwirrung bei hin- und wegfahrt mit den hiesigen öffentlichen Verkehrsmitteln. Sechs Smartphones, dreizehn Ansagen. Am Ende haben wir es doch geschafft und nach viel zu günstigen Preisen zwei drei Bier in einer wirklich angenehmen Spelunke am Rosenthalplatz eingenommen. Jetzt wieder zurück im Hostel. Müde. Und gute N8.

Tag Eins Mittwoch, 13. April
Oder: Der frühe Vogel kann mich mal. Aus Gründen.

Frisch wie der Morgen

Die Nacht im Circus Hostel wurde präsentiert vom Reiseutensil No. 1: Meinen Oropax. Keine BettnachbarIn hatte wirkliche Atemwegsprobleme zur nächtlichen Schlafstunde (aber ich hätte es ja ohnehin nicht mitbekommen) aber der ganze Zirkus in und um den Circus zirkulierte mir außerhalb meines akustischen Wahrnehmungsbereichs genug. Nach erfolgreicher Augensandvernichtung: Duschen, Haarbürste ausleihen, frühstücken und ab zum Friedrichstadpalast.

Freunde für drei Tage: Bändchen und Handgelenk

Berlin ist selbst bei Regen eine Reise Wert. Der Fußweg vom Rosenthal- zum Friedrichsplatz sorgte dafür, dass Chrisi, Taalke und meine Wenigkeit den Mettmob ausfallen lassen mussten - was bei dem offensichtlich unnatürlich rot gefärbten Mettbelag auf den Brötchen nicht so richtig schmerzte.

Der Friedrichsstadtpalast ist ein beeindruckendes Gebäude. Groß, beleuchtet und Berlin-verortet. Der riesige Hörsaal wurde eigentlich nur durch die riesige Menschenmenge überboten, die in der Begrüßungssession sich entweder ungeschickt stapelte oder die theatergleiche Räumlichkeit tatsächlich sprengte.

Nach einem spektakulären Check-In mit vielen bekannten Gesichtern vom BarCamp Ruhr 4 ging es auch direkt rein ins kleine Nebengebäude des Palastes, der Kalkscheune, in dem ein aufwändig vertontes und gefilmtes Panel mir und ca. 200 weiteren Gästen die Problematik von "Echochambers" näherbrachte. Es ging ums Prinzip "Gleich und Gleich gesellt sich gern", oder anders ausgedrückt Selbstbeweihräucherung und Eierschaukeln in sozialen Gruppen. Einen Raum weiter wurde wenig später die Frage gestellt, wie dieses "Internet" eigentlich aussähe. Seit der IT Crowd liegt die Antwort dieser Frage eigentlich auf der Hand.

Viel voll für Nichts

Das Ärgernis des Tages geht an weitere Sessions, die für mich leider nur auf dem Papier existent blieben, da die entsprechenden Räume hoffnungslos überfüllt waren. Doch in Berlin kann man sich rund um die Aussicht auf den Alex (heißt eigentlich jetzt der Platz so oder ist damit der Fernsehturm gemeint?) die Zeit auch mit Kaffee und humorvollen Indern vertreiben. Zum Ausklang sorgte Sascha Lobo, der Mann mit Anzug und knallrotem Iroschnitt, bei einem Bier im großen Saal des Palastes für kurzweile. Für ein Resümee zitiere ich einmal mich selbst:

Sascha Lobos Vortrag ist witzig und dabei tiefgründiger als man vll zugeben wollen würde. Nice.

@mileonnet am 14.04.2011

Man muss es schon gesehen und gehört haben. Zum Glück gibt's ja das Internet: Sascha Lobos Vortrag zum Thema Trollforschung.

Wer bist denn Du eigentlich?

Der große Vorteil, den man als Neuling auf solchen Veranstaltungen mitbringt, ist, dass einem gar keine andere Wahl bleibt, als sich in die Real Life Society zu schmeißen und jedes sympathische und kontaktfreudige Wesen anzuquatschen. So trieb es mich an diesem Tag von einer Gesellschaftskonstellation in die nächste. Mit zig Leuten, die ich bis heute nicht kannt (und die nun ganz doll viele neue Twitter-Follower ergeben).

Nachdem ich meine ursprüngliche Gruppe um Carolin (CarolinN), Taalke (@talinee) und Chrisi (@lemontonic21) vollends aus den Augen verlor, gab es kurzweilige Nerd-Gespräche mit Christopher (@JohnnyThan), Antonia (@soophie) und Meik (@fernmuendlich), Lachmuskeltraining mit Shawty (@Rabbit_Runz), ein Wiedersehen mit Manuel (@Schmutte), Steph (@DieSteph), Christian (@cfuerstenau), neue Gesichter wie Inken (@meyola) und Katrin (@kommanderkat), und einen Absacker im Laden mit dem wohlklingenden Namen "Muschi Obermeier", das nicht nur zahlreiche nackte Frauen an den Wänden, sondern auch Ben Becker beherbergte. Voller Neid musste die bereits ruhende Caro folgende Nachricht goutieren:

Klassentreffen im Muschi Obermeier mit @ @ @ @ @ @ uvm

@mileonnet am 14. April viel zu spät am Abend

Morgen steht allerdings zu "früher" Stunde die vielleicht wichtigste Session der re:publica an: Carolin und Sanja (@kassanja) legen dar, warum die Digitale Gesellschaft eine PR-Strategie benötigt: Wake the Blog. Doch für mein nächtliches Eindringen in das gemeinsame Hostel-Zimmer heißt es nun erst einmal: don't wake the girls.

Tag Zwei Donnerstag, 14. April
Oder: Tag zwei ist wie Tag eins, nur später

Das Wichtigste zuerst

Carolins und Sanjas Vortrag war nicht nur aufregend, anregend und appellierend, sondern wurde durch eine rege Diskussion und zahlreiche Tweets honoriert.

Es zog mich ins Blaue und der gleichnamige Saal in der heimeligen Kalkscheune bot eine Podiumsdiskussion mit dem hochtrabenden Titel "Quo Vadis, Web?". Der Abriss über bislang eingeführte Standards und der Entwicklung von http, html und Co. im Allgemeinen war sehr kurzweilig, die Antwort auf die aufgeworfene Frage blieb die Runde allerdings schuldig. Aber wer hätte das gedacht:

"Das Internet funktioniert nur so, weil Microsoft ne dumme Idee hatte (XMLHTTP)" bei Quo Vadis Web. Sehr gut. #rp11

@mileonnet mit einem nicht ganz ernst gemeinten Zitat von der Bühne

Ist ein Arzt im Saal?

Natürlich hatte ich, mehr oder weniger freiwillig, mir etwas Arbeit mit nach Berlin gebracht. Natürlich undankbare Arbeit, in der Fehler in reichlich chaotischem Code ausgemacht und behoben werden sollten. Dank einigen Tipps meiner - ich würde sie am liebsten Kommilitonen nennen - konnte ich das Problem quasi bei den Hoden packen, was den Rest des Tages deutlich entspannter werden lassen sollte.

High society

An diesem Punkt der sessionalen Ermüdung und laboratorischen Erleichterung gestattete ich mir einige längere Momente in der Crowd der so genannten digitalen Gesellschaft. Mit David
(@macx), Meik (@fernmuendlich) und Antonia (@soophie) in leichte Kunden- und Firmenlästerung vertieft, ging ich innerlich bereits den Plan für die Abendstunden durch. Also das, um das es bei der re:publica wirklich geht.

Die letzte Session im Riesensaal des Palastes war die klassische Twitterlesung, die für außenstehende wie ein bisschen Selbstbeweihräucherung anmuten muss. Es wurden die mehr oder weniger besten humorvollen Spitzen der einhundertvierzig-Zeichen-Blogger ausgewählt, thematisch sortiert und vorgetragen. Der zeitgleich laufende Wettbewerb des besten Offline-Tweets (dafür wurden die sonst dort sehr selten antreffbaren Utensilien Stift und Zettel verteilt) erhob die Gemeinde schlagartig in dadaistische Höhen:

Man kann die Leute in zwei Gruppen einteilen: Gruppe eins und Gruppe zwei.

Gewinner des besten Offline-Tweets bei der Twitter-Lesung

Tasse Bier

Und dann wurde es Zeit: einige, aber zum Glück nicht alle Besucher der letzten Session begaben sich gemeinschaftlich in die "Lora" zu einer Tasse Bier. Preis pro Tasse: ein Euro, inkl. Mehrwertsteuer. Doch auch hier hörte das Netzwerken (dankbarerweise) nicht auf: interessante Menschen, zahlreiche Visitenkarten und mindestens vier Tassen Bier bescherten mir einen gelungenen Abschluss zu einem gelungenen zweiten Tag in Berlin.

Tag Drei Freitag, 15. April
Oder: Lasse Zeit ziehen fürs Sightseeing

Der Morgen danach

Heute gab es zum Startzeitpunkt der Sessions keine für mich super interessanten Angebote. Jedenfalls bildete ich mir das ein. Ich lag zugunsten meines Energiehaushalts einfach mal länger im Bett. Auch wenn sich der Kopfschmerz nicht ganz vermeiden ließ, wollte ich diesen Tag zu einem entspannenden Ausklang machen.

Die Sessiontitel waren teils interessant, teils verwirrend aber Alles in Allem fühlte ich mich wie vor einem furchtbar lecker aufbereiteten Buffett, von dem ich schon so viel gegessen hatte, dass mir der Appetit ausblieb. Gut, ich hatte mir auch in den Tagen zuvor gar nicht so viele Sessions einverleibt, aber irgendwann ist man den ganzen Rummel einfach über. Wir sind ja schließlich nicht zum Spaß hier.

Die Welt hat maximal 200 Einwohner

Fast der Schlag traf mich, als ich einen alten Bekannten (Frank, @frank_tentler) aus Kindheitstagen in der spelunkigen Kalkscheune wiedersah. Wir kannten uns aus einer Zeit ohne Smartphones, Ladestationprobleme und Twitterfeed. Ja ich glaube, sogar Handys und SMS hatten sich noch nicht durchgesetzt. Jetzt machen wir beide was mit Medien. Tja.

Is this the real life?

Es kam wie es kommen musste und auch die Offiziellen gaben Ihren dramatisch aufgebauten Abschiedsgruß zum Besten. Und das war in diesem Jahr das Gleiche wie im Jahr davor: Bohemian Rhapsody. Gänsehaut, eine wirklich klasse Show von Spreeblick-Gründer Johnny Häesler (@spreeblick) und viel, viel Applaus. Etwas konträr zu den zwischenzeitlich doch recht garstigen Kommentaren einzelner enttäuschter Besucher.

Zuvor allerdings gab es von eben diesem Johnny schlagfertige Antworten auf die Frage "Was hat das Internet je für uns getan". Was wir anhand eines originellen Diagrams, welches die Wikipedia Eintragslänge zum Maß nimmt, nun wissen: Gott ist großer als Star Wars. Aber die Beatles sind größer als Gott!

Postskriptum Samstag, 16. April
Oder: Anschluss finden im schönen Minden

Check it out

Zum Glück wurde ich an diesem samstäglichen morgen nicht vom sonst so obligatorischen Smartphone-Wecker geweckt. Um kurz nach sieben meinte mein Schlafrhythmus, zum Outro zu kommen und öffnete mir die Augen. Behände schmiss ich meinen berlingetränkten Körper unter die Dusche und meine Klamotten in meinen Reisrucksack. Es ist unglaublich, wie ein violetter Trekking-Rucksack die Streetcredibility minimiert. Aber da Berlin heute sowieso das meiste von mir gesehen haben sollte, wirkte sich das nur marginal auf meine Contenance aus.

Am berliner Hauptbahnhofsbollwerk wurde das Unglück einer knapp liquiden Ungarin zum Karma-Pushup meinerseits. Mit vier unbegrenzt geliehenen Euronen konnte ich der verzweifelten und ursympathischen Dame ihre Weiterreise nach Rostock ermöglichen. Ein gutes Gefühl.

Kontemplative Reiseerfahrung

Die Zugreise gestaltete sich als wenig spektakulär und während viele re:publicaner noch in Berlin blieben, hatte ich beim Thema Fahrtgenossen wenig Erfolg. Der Kulturschock stellte sich ein, als ich an meinem Zielbahnhof in Essen ankam. Nun hat Essen nicht gerade die Größe von Berlin, toppt im Hauptbahnhof die Hektik aber doch noch um einiges. Als dann ein Saufgelage mit reichlich Bier im Gepäck meine letzte Tramfahrt verlärmte, wusste ich, ich bin zu Hause.

Die Kombination IC => RE => Straßenbahn => Fußweg => Treppensteigen, deren Anstrengungsgrad liniar anzusteigen schien, ließen die Reise ermüdender wirken, als sie tatsächlich war. Die Entleerung meines Rucksackes brachte die bislang unsortierten Mitbringsel von dieser Konferenz zu Tage: Umhängeschild (Badge), Bändchen, Schmutzwäsche und zahlreiche Visitenkarten. Ich resümierte: Berlin und die re:publica waren diese Reise ohne Frage wert. Aber es ist schön, wieder zu Hause zu sein.

Ein Tweet frühstückte den kleinen Wehrmutstropfen, den die Veranstaltung irgendwie hinterließ, schlagfertig ab:

freue mich auf die sensationellen sessions auf der von denen, die @ gerade vornölen, wie mies die doch war.

Wibke Latwig (@sinnundverstand) am 16. April